Donnerstag, 2. Oktober 2008
denise V
Ich sitze an ihrem Schreibtisch, sie sitzt auf dem Boden und sieht aus wie ein Kleinkind das im Sand spielt. Sie wechselt die CD oder irgendsowas als ihr Telefon klingelt. Eine Freundin. Ihr Gesicht wechselt von betreten zu euphorisch. “Cool, dann kann ich heute Abend das Kleid anziehen.”
Ihre Miene erhellt sich, zumindest lächelt sie. Sie geht hinunter zu ihren Eltern ohne sich umzudrehen.
Bevor ich ihr folge fällt mein Blick auf die Kommode, neben dem Schleuderascher liegen in einer kleinen Schale Rasierklingen. Daneben eine weiße Perlenkette, Ohrringe. Mädchenkram.
Ich nehme meinen Rucksack und will ihr Zimmer verlassen um Denise nach unten zu folgen, doch neben der Tür steht ihr Bücherregal und oben auf einer aufgestellten Bücherreihe liegt ein ziemlich angeblättertes Buch mit zahlreichen Notizzetteln. “Die Kunst der männlichen Verführung – so kriegen sie ihn rum”.
Auf der Treppe nach unten wird mir schon ein bisschen anders, mein Kopf ist ganz warm. Das wird jetzt nochmal hart, und darauf habe ich keinen Bock. Das war alles zuviel für einen Morgen. Ich schau mir selber dabei zu wie ich die Treppen hinuntersteige, bis ich im Flur stehe. Allein.
Denise kommt aus der Küche und knallt die Tür hinter sich in den Rahmen. Wütend stampft sie ohne einen Ton zu sagen ins Wohnzimmer und schliesst hinter sich die Tür.
Ich stehe mitten im Flur als die Tür der Küche aufgeht und ihr Vater ein “Wo ist Denise?” schnaubt.
“Das mindeste wäre gewesen sich vorzustellen”, bekomme ich noch zu hören als er an mir vorbei durch den Flur rollt und die Treppen hinaufspurtet um seine Tochter zu finden. Denise sitzt im Wohnzimmer vor dem Laptop. Ihr Vater sucht sie oben, ich stehe verhindert im Flur herum und bewundere den Hundertwasserkalender als mich ihre Mutter fragt ob ich André bin.Ich bin mir nicht mehr ganz sicher und sage lieber garnix, nicke nur kurz.
Ihr Vater rumpelt seine Treppe wieder herab und läuft wieder an mir vorbei, mir fällt noch das Hörgerät hinter dem Ohr auf und ich erinnere mich daran das Denise erzählt hatte ihr Vater hätte trotz seines kürzlichen Hörsturzes auf ihrem Abiball mit ihr getanzt.
Die Mutter versucht noch beschwichtigend auf ihren Mann einzureden, doch der hat schon die Tür zum Wohnzimmer geöffnet und legt los:
”Denise, warum befestigst du nicht ein Rotlicht über deinem Kopf, da können dann alle sehen das du dich wie eine Prostituierte verhältst. Das ist schon das dritte oder vierte mal diese Woche das hier jemand übernachtet den wir nicht kennen. Das war das letzte mal...ohne uns...klarkommen...usw.”
Überraschend war es nicht wirklich das zu hören, das ich nur ein Glied in der Kette war hatte sich ja bereits durch das Verhalten von Denise am Abend zuvor angedeutet. Aber das ihr Vater scheinbar genauso darüber entsetzt war wie ich und er genauso viel tun konnte wie ich, nämlich nichts, das war hart zu sehen.
Vielleicht hätte ich meine Tochter nicht einen Tag vor Weihnachten und vor den Ohren eines Unbekannten als Prostituierte bezeichnet, ... aber was soll man da tun? Ich mochte mir nicht vorstellen was sich sonst schon alles abgespielt haben könnte, Denise war eben nicht wie ich sie mir vorgestellt hatte.
Sie sagte garnichts, blickte nur kurz auf und sah wie ihre Mutter ihren Vater tröstete und wie ich wortlos im Flur stand und im Boden versank. Ihre Eltern zogen sich zurück, ich stand weiter im Flur. Denise tippte im Wohnzimmer. Eigentlich bin ich hin und her gerissen etwas zu sagen, aber ich kann nicht. Ihr Vater hat jedes Recht der Welt auf mich sauer zu sein, ich diene gerne als Blitzableiter wenn es ihm dadurch besser geht, ich bin ja schliesslich selbst wütend auf meine Dummheit.
Nur ein bisschen mehr Grips. Wenn ich gesagt hätte ich lege mich auf die Couch oder schlafe im Zimmer ihres Bruders. Dann hätte es in dem Haus eine Katastrophe weniger gegeben. Mit einem Abstand von sechs Monaten kann ich das jetzt als Erfahrung bezeichnen, an dem Nachmittag (es war so 14 Uhr als ich das Haus verlassen habe) war ich aber einfach nur vor den Kopf gestossen und wusste gar nichts mehr.
Geredet habe ich nicht mehr mit den Eltern, Denise habe ich noch gefragt ob ich etwas sagen soll doch sie war nur peinlich betreten und meinte ich sollte besser gehen. Auf der Veranda stand ihr Opa, paffend sah er uns durch die Glastür zu. Am Treppenabsatz versuche ich sie nocheinmal zu umarmen, doch sie lehnt sich zurück und schaut an mir vorbei. Ich mache mich auf den Weg nach Haus. Die Sonne scheint, es ist nicht kalt. Wetter zum spazieren gehen. Mir wird schlecht.

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